BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 274/06 Verkündet am:
20. Mai 2009
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
MB/KT 94 § 1 (3)
In der Krankentagegeldversicherung ist Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit
der bisher ausgeübte Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung. Daher
kann der Versicherer den Versicherten nicht darauf verweisen, unter Kapitaleinsatz
eine Weiterführung seiner bisherigen Tätigkeit unter geänderten Bedingungen
zu ermöglichen.
BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 - IV ZR 274/06 - OLG Schleswig
LG Itzehoe
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und die Richterin
Harsdorf-Gebhardt auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2009
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats
des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts
in Schleswig vom 12. Oktober 2006 im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als der Antrag der Klägerin
auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von
102.679,84 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz aus 32.489,62 € seit
dem 18. Juli 2003 und aus 70.190,22 € seit dem
12. Dezember 2005 abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, die als selbständige Werbekauffrau seit 1999 einen
Beschaffungsservice für Werbemittel betreibt, hielt bei der Beklagten eine
Krankentagegeldversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbe-
1
- 3 -
dingungen für die Krankentagegeldversicherung in der Fassung der Musterbedingungen
1994 des Verbandes der Privaten Krankenversicherung
(MB/KT 94) nebst Tarifbedingungen der Beklagten zugrunde lagen. Sie
verlangt von der Beklagten für die Zeit vom 2. Dezember 2002 bis einschließlich
30. November 2004 Krankentagegeld in Höhe von insgesamt
103.193,68 €, wobei sie noch offene Versicherungsbeiträge in Abzug
bringt.
Seit einem Treppensturz am 2. Februar 2002 leidet die Klägerin an
Schmerzen im Bereich der rechten Schulter, vor allem beim Anheben
und Tragen von schwereren Lasten; ärztlich diagnostiziert wurde ein Impingementsyndrom
(Schulterengpasssyndrom). Die Beklagte zahlte nach
Vorlage ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen das vereinbarte
Krankentagegeld von 171,28 € täglich bis einschließlich 1. Dezember
2002 und stellte dann ihre Zahlungen ein.
2
Im Juli 2003 beauftragte die Beklagte ein Detektivunternehmen mit
der Überprüfung, ob die Klägerin trotz der ihr attestierten Arbeitsunfähigkeit
einer beruflichen Tätigkeit nachgehe. Zwei Mitarbeiter dieses Unternehmens
nahmen Kontakt zu der Klägerin auf und gaben unter falschem
Namen vor, als Kunden bzw. für Kunden Interesse an den von ihr angebotenen
Werbemitteln zu haben. Die Klägerin präsentierte den Detektiven
bei drei verabredeten Treffen im August und September 2003 ihre
Werbemittel. Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schriftsatz vom 22. Oktober
2003 und weiterem Schriftsatz vom 27. November 2003 die fristlose
Kündigung der Krankentagegeldversicherung mit der Begründung,
dass die Klägerin beruflich tätig geworden sei und gleichzeitig Krankentagegeld
gefordert habe.
3
- 4 -
4 Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei ausschließlich im Außendienst
ihres Betriebes tätig gewesen und habe Kunden mit zwei 25 kg
schweren Musterkoffern und einer 15 kg schweren Reisetasche mit Mustern
besucht, die Werbemittel präsentiert, zum Kauf angeboten und Bestellungen
entgegengenommen. Dazu sei sie aufgrund ihrer Schulterbeschwerden
nicht mehr in der Lage, weil sie die Koffer und die Tasche
nicht mehr aus dem Kofferraum ihres Cabrios heben und zu den Kundenbesuchen
tragen könne.
Das Landgericht hat die Klage unter anderem insoweit abgewiesen,
als die Klägerin einen Anspruch auf Krankentagegeld in Höhe von
32.489,62 € für den Zeitraum vom 2. Dezember 2002 bis zum 30. Juni
2004 geltend gemacht hat. Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre
Forderung auf 103.193,68 € erhöht hat, ist erfolglos geblieben. Diesen
Zahlungsantrag verfolgt die Klägerin mit ihrer Revision weiter.
5
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat überwiegend Erfolg und führt zur
weitgehenden Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung
der Sache an das Berufungsgericht.
6
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht eine vollständige
Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht fest, auch wenn davon auszugehen
sei, dass die Klägerin nahezu ausschließlich im Außendienst mit der Akquisition
in der von ihr beschriebenen Art und Weise befasst gewesen
sei. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum es der Klägerin nicht möglich
7
- 5 -
und zumutbar gewesen sein solle, die konkrete Trage- und Hebelast
durch nahe liegende, einfache Maßnahmen zu verringern, etwa durch
Verwendung von Trolleys. Problematisch sei bei einem Schulterengpasssyndrom
nach den Ausführungen des Sachverständigen allerdings
das Anheben von Lasten von 10 bis 20 kg in der Armvorhaltebewegung,
wie sie beim Heben der Musterkoffer aus dem Kofferraum oder dort hinein
vorkomme. Dem könne die Klägerin aber zumutbar dadurch begegnen,
dass sie sich ein Fahrzeug ohne Ladekante, etwa einen Kombi, anstelle
ihres Cabrios mit hoher Ladekante anschaffe. Damit ließe sich die
problematische Armvorhaltebewegung vermeiden; zudem ließen sich die
Koffer auch mit dem linken Arm leichter hinein- oder herausheben.
Für den Zeitraum ab dem 1. November 2003 habe die Klägerin
auch deshalb keine Krankentagegeldansprüche mehr, weil die Beklagte
den Vertrag mit Wirkung ab diesem Zeitpunkt wirksam fristlos gekündigt
habe. Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung ergebe sich daraus,
dass die Klägerin versucht habe, für die drei Tage, an denen sie die
Präsentationstermine mit den Detektiven wahrgenommen habe, Krankentagegeldleistungen
zu erlangen.
8
II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung 9 nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Anspruch auf
Krankentagegeld zu Unrecht mit der Begründung versagt, sie hätte die
Trage- und Hebelast durch Umgestaltung ihrer Musterkoffer verringern
und das Anheben von Lasten in der Armvorhaltebewegung durch Anschaffung
eines anderen Fahrzeugs ohne Ladekante vermeiden können.
Damit hat das Berufungsgericht von der Klägerin eine dem Wesen der
10
- 6 -
Krankentagegeldversicherung fremde Umorganisation der Arbeitsabläufe
verlangt.
a) In der Krankentagegeldversicherung setzt der Eintritt eines Versicherungsfalles
neben der medizinisch notwendigen Heilbehandlung eine
in deren Verlauf ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit voraus (§ 1
(2) Satz 1 MB/KT 94). Arbeitsunfähigkeit liegt gemäß § 1 (3) MB/KT 94
vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem
Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch
nicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht. Diese Definition
der Arbeitsunfähigkeit knüpft an die konkrete berufliche Tätigkeit der
versicherten Person und nicht allgemein an ihre beruflichen Möglichkeiten
an. Dementsprechend bemisst sich die Arbeitsunfähigkeit nach der
bisherigen Art der Berufsausübung, selbst wenn der Versicherte noch
andere Tätigkeiten ausüben kann (Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl.
§ 1 MB/KT 94 Rdn. 6 m.w.N.). Daher ist der Versicherer nicht berechtigt,
den Versicherungsnehmer auf so genannte Vergleichsberufe oder gar
sonstige, auf dem Arbeitsmarkt angebotene Erwerbstätigkeiten zu verweisen
(Senatsurteile vom 9. Juli 1997 - IV ZR 253/96 - VersR 1997,
1133 unter II 2 b; vom 25. November 1992 - IV ZR 187/91 - VersR 1993,
297 unter II 1). Dies gilt auch dann, wenn der Versicherte mindestens
50 % der von seinem Berufsbild allgemein umfassten Tätigkeiten noch
ausüben kann; sofern ihm die bisherige Berufsausübung völlig unmöglich
geworden ist, muss er sich nicht darauf verweisen lassen, eine seinen
verbliebenen beruflichen Fähigkeiten entsprechende andere Arbeit aufzunehmen
(Senatsurteil vom 25. November 1992 aaO; Prölss aaO
m.w.N.). Hingegen ist der Versicherte nicht arbeitsunfähig, wenn er gesundheitlich
zu einer - wenn auch nur eingeschränkten - Tätigkeit in seinem
bisherigen Beruf imstande geblieben ist (Senatsurteil vom 25. No-
11
- 7 -
vember 1992 aaO). Ob der Versicherte seinem Beruf nicht mehr in der
bisherigen Ausgestaltung nachgehen kann, ist durch einen Vergleich der
Leistungsfähigkeit, die für die bis zur Erkrankung konkret ausgeübte Tätigkeit
erforderlich ist, mit der noch verbliebenen Leistungsfähigkeit festzustellen
(Prölss aaO Rdn. 7 m.w.N.).
b) Das Berufungsgericht hat bei seiner Vergleichsbetrachtung zwar
berücksichtigt, wie die Außendiensttätigkeit der Klägerin vor ihrem Unfall
tatsächlich gestaltet war, ihr aber eine andere Arbeitsorganisation abverlangt.
Damit hat es außer Acht gelassen, dass Maßstab für die Prüfung
der Arbeitsunfähigkeit der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung
ist. Mit Blick darauf kann der Versicherer den Versicherten nicht
darauf verweisen, durch Umorganisation seiner Arbeitsabläufe, notfalls
mit dem dazu erforderlichen Kapitaleinsatz, die Voraussetzungen für die
Wiederausübung seines Berufs zu schaffen. Ob und inwieweit der Versicherte
nach Treu und Glauben gehalten ist, über die medizinische Behandlung
hinaus an der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit aktiv
mitzuwirken, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls ist er nicht gezwungen,
seine berufliche Tätigkeit durch Austausch oder Veränderung
der bislang eingesetzten Arbeitsmittel neu zu organisieren. Für die Berufsunfähigkeitsversicherung
hat der Senat bereits entschieden, dass
sich der Versicherte eine nachträglich entstandene Umorganisationsmöglichkeit
nicht zu seinem Nachteil anrechnen lassen muss, wenn er
diese durch eine eigene Anstrengung geschaffen hat, zu der er dem Versicherer
gegenüber weder aufgrund einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit
noch aufgrund seiner Schadensminderungspflicht verpflichtet
war. Eine solche überobligationsmäßige Anstrengung liegt z.B. vor, wenn
der Versicherte durch Kapitaleinsatz sein Unternehmen erweitert (Senatsurteil
vom 28. April 1999 - IV ZR 123/98 - VersR 1999, 958 unter II 2
12
- 8 -
b). Dies gilt erst recht für die Krankentagegeldversicherung, die nur auf
die bisherige Berufstätigkeit des Versicherten abstellt und eine Verweisung
auf andere Erwerbstätigkeiten nicht kennt. Auch bei der Krankentagegeldversicherung
wäre es unbillig, dem Versicherer, der an dem unternehmerischen
Risiko des Versicherten nicht beteiligt ist, Leistungsfreiheit
zu gewähren, wenn der Versicherte seinen Betrieb nicht anders
gestaltet. Ebenso wenig kann der Versicherer von der Verpflichtung zur
Zahlung von Krankentagegeld frei werden, wenn der Versicherte nicht
seine Tätigkeit durch einen - unter Umständen mit erheblichem Kapitalaufwand
verbundenen - Austausch der Arbeitsmittel verändert.
Demnach kann die Beklagte der Klägerin nicht anlasten, dass diese
nicht ihr Cabrio, mit dem sie zu den Präsentationsterminen fuhr, gegen
einen anderen PKW mit niedrigerer Ladekante tauschte und die
Musterkoffer nicht durch kleinere Koffer oder Trolleys ersetzte. Ob dem
Versicherten im Einzelfall eine Veränderung seiner Arbeitsmittel zumutbar
ist, wenn der Versicherer die ihm dafür entstehenden Kosten übernimmt,
kann dahinstehen. Mit einem entsprechenden Angebot ist die Beklagte
weder vor noch nach der Leistungseinstellung an die Klägerin herangetreten.
13
2. Unabhängig von der Frage der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin
durfte die Beklagte für den Zeitraum ab dem 1. November 2003 die Krankentagegeldzahlung
nicht deshalb verweigern, weil sie die fristlose Kündigung
des Vertrages erklärt hatte. Denn ein Kündigungsgrund lag nicht
vor.
14
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass
den Parteien eines Versicherungsvertrages grundsätzlich ein Recht zur
15
- 9 -
Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht.
Diese Bestimmung, die das aus dem Gebot von Treu und Glauben entwickelte
Kündigungsrecht aus wichtigem Grund abgelöst hat, gehört zu den
gesetzlichen Bestimmungen über das außerordentliche Kündigungsrecht,
auf die § 14 (2) MB/KT 94 ausdrücklich verweist (Senatsurteil vom
18. Juli 2007 - IV ZR 129/06 - VersR 2007, 1260 Tz. 13).
b) Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht der Beklagten
ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Krankentagegeldversicherungsvertrages
zugebilligt hat, können selbst im Rahmen der nur eingeschränkt
möglichen revisionsrechtlichen Nachprüfung (vgl. Senatsurteil
vom 18. Juli 2007 aaO Tz. 14 m.w.N.) nicht als tragfähig angesehen
werden.
16
aa) Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung setzt
gemäß § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB voraus, dass Tatsachen vorliegen, die
dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls
und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des
Vertrages unzumutbar machen. Im Hinblick auf die soziale Funktion der
privaten Krankenversicherung ist anerkannt, dass ein wichtiger Grund
zur außerordentlichen Kündigung erst dann gegeben ist, wenn der Versicherungsnehmer
in besonders schwerwiegender Weise die Belange des
Versicherers seinem Eigennutz hintanstellt. Das ist vor allem dann der
Fall, wenn er sich Versicherungsleistungen erschleicht oder zu erschleichen
versucht (Senatsurteile vom 18. Juli 2007 aaO Tz. 16; vom 3. Oktober
1984 - IVa ZR 76/83 - VersR 1985, 54 unter II 2, jeweils m.w.N.).
Wie der Senat in seinen genannten Entscheidungen ausgeführt hat, erweckt
derjenige, der Krankentagegeld wegen Arbeitsunfähigkeit verlangt
und dem Versicherer zwar die Arbeitsunfähigkeit mitteilt, nicht aber den
17
- 10 -
Umstand, dass er seinen Beruf ungeachtet der Arbeitsunfähigkeit praktisch
voll ausübt, den unzutreffenden Eindruck, er könne seine berufliche
Tätigkeit nicht ausüben und übe sie auch nicht aus. Damit täuscht der
Versicherungsnehmer Umstände vor, die eine Leistungspflicht des Versicherers
ergeben und erschleicht sich diese Versicherungsleistungen (Senatsurteile
vom 18. Juli 2007 aaO Tz. 17; vom 3. Oktober 1984 aaO unter
II 3).
bb) Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass die Klägerin
an den drei Tagen, an denen sie den von der Beklagten beauftragten
Detektiven ihre Werbemittel präsentierte, beruflich tätig wurde und sich
vertragswidrig verhielt, indem sie dennoch gegenüber der Beklagten Arbeitsunfähigkeit
geltend machte. Bei der Bewertung, ob Tätigkeiten zur
Berufsausübung gehören, kommt es auf das Berufsbild an, das sich aus
der bis zum Eintritt des Versicherungsfalles konkret ausgeübten Tätigkeit
der versicherten Person ergibt (Senatsurteil vom 18. Juli 2007 aaO
Tz. 19 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat die Präsentation der Werbemittel
zutreffend ihrer Außendiensttätigkeit zugerechnet. Dabei ist es unerheblich,
dass der erste Kontakt mit den von der Beklagten eingeschalteten
Detektiven durch diese, nicht von der Klägerin veranlasst wurde.
Entscheidend ist, dass die Klägerin bei den fraglichen Präsentationsterminen
ihre übliche berufliche Tätigkeit entfaltete. Der Annahme einer tatsächlichen
Berufsausübung steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin
nur geringfügig beruflich tätig wurde. Von der Regelung des § 1 (3)
MB/KT 94 wird - wie der Senat in seinem Urteil vom 18. Juli 2007 (aaO
Tz. 24 ff.) entschieden hat - jede berufliche Tätigkeit erfasst. Eine einschränkende
Auslegung des Merkmals der Nichtausübung des Berufs
dahingehend, dass nur Tätigkeiten von bestimmter Art und gewissem
Umfang den Krankentagegeldanspruch entfallen lassen können, hat der
18
- 11 -
Senat ausdrücklich abgelehnt. Vielmehr genügen jedwede auch geringfügige
Tätigkeiten, die dem Berufsfeld des Versicherungsnehmers zuzuordnen
sind (Senatsurteil vom 18. Juli 2007 aaO Tz. 26).
cc) Auch wenn die Klägerin dadurch ihre vertraglichen Pflichten
verletzte, dass sie der Beklagten ihre Berufstätigkeit im Rahmen der drei
Präsentationstermine verschwieg, ist der Beklagten die Fortsetzung der
Krankentagegeldversicherung bis zum 30. November 2004 jedenfalls
nicht unzumutbar. Das Berufungsurteil lässt die gebotene wertende Betrachtung,
bei der nach § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB alle Umstände des Einzelfalles
zu berücksichtigen und die beiderseitigen Interessen abzuwägen
sind, vermissen.
19
(1) Aus welchen Gründen der Beklagten die Fortsetzung des Versicherungsvertrages
unzumutbar gewesen sein soll, hat das Berufungsgericht
nicht ausgeführt. Allein der Umstand, dass die Klägerin in einem
Zeitraum, für den sie von der Beklagten Krankentagegeld verlangt, ihrer
beruflichen Tätigkeit an drei Tagen nachgegangen ist, genügt hierfür
nicht. Zwar liegt ein erheblicher Vertrauensbruch nahe, wenn der Versicherte
seinen Beruf nicht nur im Rahmen von - hier nicht anzunehmenden
- Arbeitsversuchen ausübt und sich nicht nur auf gelegentliche formelle
Tätigkeiten wie das Unterzeichnen vorgefertigter Schriftstücke beschränkt
(Senatsurteil vom 18. Juli 2007 aaO Tz. 32). Allerdings hat das
Berufungsgericht nicht berücksichtigt, dass nach den getroffenen Feststellungen
die Klägerin lediglich an drei Tagen und jeweils nur für kurze
Zeit (90 Minuten, 45 Minuten, 30 Minuten) beruflich tätig wurde. Eine
weitergehende Berufsausübung ist in den Tatsacheninstanzen nicht festgestellt
worden. Der Klägerin kann daher nicht vorgeworfen werden, voll
20
- 12 -
berufstätig gewesen zu sein und gleichwohl von der Beklagten Krankentagegeld
gefordert zu haben.
(2) Im Übrigen hat das Berufungsgericht fehlerhaft nicht berücksichtigt,
dass die Beklagte zu der Zeit, als die von ihr beauftragten Detektive
sich mit der Klägerin trafen, die Zahlungen von Krankentagegeld
längst eingestellt hatte. Auch wenn ein außerordentliches Kündigungsrecht
nicht zwingend ein vollendetes Erschleichen von Versicherungsleistungen
voraussetzt, sondern auch bei einem Versuch des Erschleichens
begründet sein kann, ist die Leistungseinstellung bei der gebotenen
wertenden Betrachtung zu berücksichtigen. Mit der Leistungseinstellung
trotz weiterhin bescheinigter Arbeitsunfähigkeit bringt der Versicherer
zum Ausdruck, er halte den Versicherten dennoch für arbeitsfähig.
Deshalb kann er nicht mehr uneingeschränkt darauf vertrauen, der Versicherte
werde seine Berufstätigkeit in keiner Weise ausüben. Der Wegfall
des Krankentagegeldes begründet - dem Versicherer erkennbar - für
den Versicherten die Notwendigkeit, auf anderem Wege für seinen Lebensunterhalt
zu sorgen. Auch wenn der Versicherungsnehmer seinen
Anspruch für berechtigt hält, kann der Versicherer von ihm nicht erwarten,
dass er sich bis zum Abschluss eines - im Ausgang ungewissen -
Rechtsstreits jeglicher Ausübung seiner Berufstätigkeit enthält. Hinzu
kommt, dass die nachteiligen Auswirkungen einer Vertragsverletzung für
einen Versicherer regelmäßig nicht eintreten, wenn Versicherungsleistungen
- wie auch hier - nicht erbracht wurden (Senatsurteil vom 18. Juli
2007 aaO Tz. 34).
21
(3) Weiterhin hat das Berufungsgericht nicht beachtet, dass die
Beklagte die Erkenntnisse zur tatsächlichen Berufsausübung der Klägerin
durch unzulässigen Einsatz der von ihr beauftragten Detektive als
22
- 13 -
Testkunden gewonnen und sich daher selbst unredlich verhalten hat.
Dass sie vor dem Einsatz der Detektive tatsächliche Anhaltspunkte für
eine Berufsausübung der Klägerin hatte, behauptet die Beklagte selbst
nicht. Allein die von ihr vorgebrachten Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
der Klägerin ließen nicht darauf schließen, dass die Klägerin ihren Beruf
ausübte. Mangels eines entsprechenden Verdachts ist die Beauftragung
der Detektive, selbst wenn diese nicht mit verwerflichen Mitteln auf die
Klägerin einwirkten, als auf die Verschaffung eines Kündigungsgrundes
gerichtet und damit als unlauter anzusehen (vgl. Senatsurteil vom
18. Juli 2007 aaO Tz. 36).
III. Soweit die Klägerin die Zahlung von Krankentagegeld in Höhe
von insgesamt 513,84 € für die drei Tage, an denen sie die fraglichen
Präsentationstermine wahrnahm, begehrt, ist ihr Zahlungsantrag von den
Vorinstanzen zu Recht abgewiesen worden. Im Übrigen ist der Rechtsstreit
bezüglich dieses Antrags noch nicht zur Endentscheidung reif. Das
Berufungsgericht wird sich unter Berücksichtigung der unter II 1 dargelegten
Grundsätze erneut damit zu befassen haben, ob die Klägerin in
dem streitgegenständlichen Zeitraum durchgehend vollständig arbeitsunfähig
in dem Sinne war, dass sie ihrem Beruf in seiner bis zu ihrer Erkrankung
ausgeübten Weise nicht mehr nachgehen konnte. Dabei wird
es wiederum - ggf. nach ergänzender sachverständiger Beratung - zu berücksichtigen
haben, welche Gewichte die Klägerin nach ihrer Erkrankung
noch anheben und tragen konnte. Die in diesem Zusammenhang
von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, dass der von ihr als sachverständiger
Zeuge benannte Dr. J. nicht gehört worden sei, hat der
Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
23
- 14 -
24 Weiterhin hat das Berufungsgericht nicht geklärt, ob die Klägerin
- wie die Beklagte geltend gemacht hat - seit dem 15. Juni 2003 berufsunfähig
i.S. von § 15 lit. b MB/KT 94 war. Schließlich hat es sich nicht
mit dem Einwand der Beklagten auseinandergesetzt, dass es sich bei
der B. Klinik, in der die Klägerin für die Zeit vom 20. März bis
30. April 2003 stationär behandelt wurde und aufgrund der Bewilligung
der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte medizinische Leistungen
zur Rehabilitation erhielt, um eine gemischte Anstalt handele und eine
deshalb erforderliche vorherige Leistungszusage i.S. von § 4 (9) Satz 1
MB/KT 94 fehle.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
LG Itzehoe, Entscheidung vom 18.10.2005 - 3 O 269/03 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 12.10.2006 - 16 U 65/05 -
2018 © BDD - ALL Rights Reserved. Datenschutz | Terms of Service | Impressum