Ein Verstoß gegen § 284 I SGB III kann auch dann vorliegen, wenn eine unentgeltliche Tätigkeit vereinbart wird, nach zivilrechtlichen Grundsätzen diese Vereinbarung jedoch unwirksam ist und ein Entgelt hätte gezahlt werden müssen.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.04.2010 - 2 SsRs 46/10, BeckRS 2010, 10379
Anmerkung von Rechtsanwalt Gernot Zimmermann, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 10/2010 vom 20.05.2010
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Über die Agentur für Arbeit fragte der Betroffene wiederholt nach geeigneten Karosseriebauern und Lackierern für seinen Betrieb an. Nachdem er auf diese Art und Weise keinen ihm geeignet erscheinenden Mitarbeiter gefunden hatte, erweiterte er seine Suche im Internet. Bei ihm meldete sich daraufhin der polnische Staatsbürger W. Nach der Einholung anwaltlicher Beratung, jedoch ohne Einbeziehung der Agentur für Arbeit schloss der Betroffene unter dem 28.04.2008 mit W einen Praktikumsvertrag für die Zeit vom 28.04.2008 bis zum 09.05.2008 ab. In diesem Vertrag heißt es:
«Grundlage für dieses Praktikum ist ein geplanter Arbeitsvertrag auf der Grundlage der Vereinbarung über den Gastarbeitnehmeraustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen. Herr W besucht die Firma in der Zeit vom 28.04.2008 bis zum 09.05.2008, um die Arbeitsweisen, Örtlichkeiten und Mitarbeiter kennen zu lernen. (…) Dieses Praktikum wird vereinbart, um Klarheit zu erlangen, ob es sinnvoll und erfolgversprechend ist, das offizielle Genehmigungsverfahren zur Fortbildung osteuropäischer Arbeitnehmer der Bundesanstalt für Arbeit, Zentralstelle für Arbeitsvermittlung ZAV, zu betreiben, da dieses mit zahlreichen Prüfungen und Erklärungen über einen Zeitraum von insgesamt 3 Monaten läuft und damit sehr aufwendig ist. Das Praktikum ist unentgeltlich, ein Arbeitsentgelt wird für dieses Praktikum nicht gezahlt. Die Firma erstattet lediglich gegen Nachweis die entstandenen Reisekosten. Nach erfolgreichem Abschluss des Praktikums wird das oben angesprochene Genehmigungsverfahren beantragt.»
Der Praktikant W arbeitete vom 28.04.2008 bis zur Überprüfung durch das Hauptzollamt am 05.05.2008 unentgeltlich in dem Betrieb des Betroffenen, ohne über eine Arbeitsgenehmigung zu verfügen. Er war in dem von dem Betroffenen zugewiesenen Bereich der Betriebsstätte tätig und arbeitete von montags bis samstags täglich 8 Stunden an den ihm zugeteilten Pkws. Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Beschäftigens eines Arbeitnehmers ohne die erforderliche Arbeitsgenehmigung zu einer Geldbuße von 250 Euro verurteilt. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des AG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.
Rechtliche Wertung
Die vom AG getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung nicht. Der Senat schließt sich grundsätzlich der überwiegenden Ansicht an, wonach ein Verstoß gegen § 284 I SGB III eine entgeltliche Tätigkeit erfordert. Die unentgeltliche Tätigkeit von Herrn W. im Rahmen des Praktikums führt jedoch nicht ohne Weiteres dazu, dass ein Verstoß gegen § 404 II Nr. 3 SGB III ausgeschlossen ist. Entscheidend ist vielmehr, ob ein Entgelt zu zahlen gewesen wäre. In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung ist in Abgrenzung zum Arbeitsverhältnis ein so genanntes «Einfühlungsverhältnis ohne Vergütungsanspruch» anerkannt. Unter einem derartigen Einfühlungsverhältnis wird ein ganz loses Rechtsverhältnis eigener Art, welches sich von einem Arbeitsverhältnis - insbesondere auch von dem Probearbeitsverhältnis - dadurch unterscheidet, dass der in den Betrieb aufgenommene potentielle Arbeitnehmer während der Einfühlungsphase keine Pflichten übernimmt, insbesondere keine Arbeitspflicht hat, da er nicht dem Direktions- oder Weisungsrecht des potentiellen Arbeitgebers unterliegt, sondern lediglich dem Hausrecht des Betriebsinhabers untersteht», verstanden. Ist der Beschäftigte dagegen in den betrieblichen Arbeitsablauf eingegliedert, kann nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung die Vereinbarung einer unentgeltlichen Tätigkeit gemäß § 138 I BGB unwirksam sein. Liegt eine derartige Eingliederung in den Betrieb vor, die dazu führt, dass nach zivilrechtlichen Grundsätzen die Vereinbarung von Unentgeltlichkeit unwirksam ist, mithin ein Entgelt zu zahlen wäre, stünde deshalb die ausdrücklich getroffene Vereinbarung der Unentgeltlichkeit der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des § 284 I SGB III nicht entgegen. Zwar hängt damit die Frage, ob die Beschäftigung eines Ausländers ohne Genehmigung bußgeldbewehrt ist, im Ergebnis von einer zivilrechtlichen Wertung ab. Dies ist jedoch unschädlich. Entsprechendes gilt auch für den Straftatbestand des § 10 SchwarzArbG, wonach bestraft wird, wer vorsätzlich eine in § 404 II Nr. 3 SGB III bezeichnete Handlung begeht und den Ausländer zu Arbeitsbedingungen beschäftigt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen deutscher Arbeitnehmer/-innen stehen, die die gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben. Es hätte im vorliegenden Fall daher einer konkreten Angabe der von Herrn W vorzunehmenden Arbeiten bedurft, um festzustellen, inwieweit seine Tätigkeit unter Eingliederung in den Betrieb nach Zeit, Dauer und Ort weisungsgebunden war und inwieweit er trotz des offenbar bestehenden Fachkräftemangels zur Ableistung unentgeltlicher Arbeit gezwungen war. Da weitere Feststellungen möglich erscheinen, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Praxishinweis
Die Entscheidung zeigt die enge Verzahnung des Arbeitsstrafrechts mit den zivilrechtlichen Wertungen des Arbeitsrechts auf. Die Grenzen zwischen einer noch «freiwilligen» unentgeltlichen Tätigkeit im Rahmen eines Praktikums und einer Eingliederung in den Betrieb mit der Folge der Begründung eines (entlohnungspflichtigen) Arbeitsverhältnisses verlaufen fließend. Der betroffene Unternehmer wird im Vorfeld der beabsichtigten Beschäftigung eines Praktikanten regelmäßig nicht sicher einschätzen können, ob das Beschäftigungsverhältnis unter Berücksichtigung sämtlicher Einzelheiten und der konkreten Art und Weise der Ausgestaltung später als Arbeitsverhältnis mit der Folge einer Genehmigungspflicht zu behandeln ist, da die Zahlung einer Entlohnung für sich genommen kein geeignetes Abgrenzungskriterium ist. Angesichts dieser Unsicherheiten und der damit verbundenen Haftungsrisiken kann nur dazu geraten werden, vor jedweder Beschäftigung von Staatsbürgern der neuen EU-Mitgliedsstaaten die Agentur für Arbeit frühzeitig einzuschalten und gegebenenfalls das aufwendige Genehmigungsverfahren nach § 284 II SGB III i.V.m. § 39 AufenthG zu betreiben.
[beck-aktuell-Newsletter vom 25.5.10]
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