Urteil vom 18. November 2010 Landesarbeitsgericht Köln
Leitsatz:
Das heimliche Überwachen von Mitarbeitern per Video stellt zwar einen Eingriff in dessen Allgemeines Persönlichkeitsrecht dar. Dies kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber einen konkreten Verdacht hinsichtlich einer schweren Verfehlung hat und diese nicht anders beweisen kann.
Sachverhalt:
Bei der Klägerin handelte es sich um eine seit langem beschäftigte Filialleiterin bei der Beklagten. Die Beklagte stellte in dieser Filiale sehr hohe Inventurdifferenzen fest, die sie sich nicht erklären konnte. Sie ließ daraufhin in den Geschäftsräumen Kameras installieren, um zu überprüfen, ob Gegenstände entwendet würden. Auf dem Bildmaterial war zu erkennen, dass die Klägerin mehrere Zigarettenpackungen entwendete. Nach einer Anhörung unter Beisein des Betriebsrates hatte die Klägerin keine Erklärung für die Aufnahmen. Sie behauptete immer noch, nichts entwendet zu haben. Ihr wurde daraufhin fristlos gekündigt.
Die Klägerin wehrte sich gegen diese Kündigung und erklärte, dass das Videobildmaterial als Beweis nicht verwertet werden dürfe. Es sei heimlich aufgenommen worden und verletze sie in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Entscheidung:
Das Gericht wies die Klage ab.
Es erklärte, dass zwar das heimliche Aufnehmen am Arbeitsplatz mittels Videoüberwachung einen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin darstelle. Ausnahmsweise sei die Verletzung hier aber gerechtfertigt. Für den Nachweis, dass auffällig hohe Inventurdifferenzen vorgelegen haben, habe die Beklagte im Übrigen keine andere Möglichkeit gehabt, als die Geschäftsräume zu überwachen. Darüber hinaus zeige das Bildmaterial nur den Kassenbereich, dessen Überwachung grundsätzlich zulässig sei.
Die weitere Beschäftigung sei der Beklagten aufgrund des Diebstahls von Zigarettenpackungen nicht zumutbar. Allerdings sei es der Beklagten möglich, aufgrund der jahrelangen betrieblichen Zugehörigkeit der Klägerin, eine ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten.
Tatbestand
Die Parteien streiten vor allem über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 23.01.2009, die hilfsweise fristgerecht zum nächst zulässigen Termin ausgesprochen wurde.
Die Klägerin war zum Kündigungszeitpunkt 50 Jahre alt und seit September 1990 als Verkäuferin, zuletzt als stellvertretende Filialleiterin, in der Filiale K der Beklagten gegen eine monatliche Vergütung von ca. 1.400,00 € im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung tätig.
Am 20.01.2009 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung wie folgt an (Kopie Blatt 33 d. A.):
"In der Filiale Kerpen 1 wurde aufgrund sehr hoher Inventurdifferenzen ein Kameraeinsatz geplant, dem Sie am 21.11.2008 für den Zeitraum von vier Wochen zugestimmt haben. Daraufhin wurden die Kameras vom 01.12.2008 bis zum 22.12.2008 installiert und das Filmmaterial danach ausgewertet. Am 12.01.2009 wurde uns das Filmmaterial übergeben.
Im Beisein von Herrn K vom Betriebsrat konnten wir auf der CD sehen, wie Frau K abends nach 20:00 Uhr an den Kassen aufräumt. Dabei öffnet sie den Zigarettenträger einer Kasse und entnimmt einige Schachteln Zigaretten. Danach werden diese in den Fächern für die Tüten verstaut. Der Zigarettenträger wird wieder verschlossen. Einige Minuten später kehrt Frau K an die Kassen zurück und entnimmt den Fächern die Zigaretten. Schnell werden diese in der Bluse verstaut.
Am 13.01.2009 wurden diese Bilder bzw. kurzen Filme Frau K gezeigt. An dem aufklärenden Gespräch nahmen Herr L (Gebietsverkaufsleiter), Herr L und Herr K (Verkaufsleiter) teil. Frau K kann sich nicht erklären, was sie auf den Bildern macht. Auf Rückfrage von Herrn L erkennt sie sich jedoch auf den Bildern und kann auch die Zigarettenschachteln sehen. Weiter möchte Frau K jedoch zu den Vorwürfen nichts sagen. Sie gibt nicht zu, Zigaretten entwendet zu haben. Frau K kann jedoch auch nicht erklären, aus welchem Grund sie zu dieser Zeit (nach Ladenschluss) nochmals den Zigarettenträger öffnet. Zunächst behauptet sie, den Trägern Müll zu entnehmen. Bei Vergrößerung der Aufnahme konnte aber auch sie die Schachtel Marlboro light in ihrer Hand erkennen. Außerdem macht es keinen Sinn den angeblichen Abfall im Regal für Tüten an der nächsten Kasse zu verstauen. Dafür hatte Frau K auch keine Erklärung. Letztlich hat sie sich in Widersprüche verstrickt, wollte jedoch kein Schuldanerkenntnis schreiben. Herr L stellte Frau K nach dem Gespräch von der Arbeit frei. Frau K wurde mitgeteilt, dass sie nun die arbeitgeberseitige Kündigung zu erwarten habe.
Die Aufklärungsarbeit zu dem Vorfall bestärkt uns, dass hier eine wiederholte Entwendung von Zigaretten und damit eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung vorliegt. Wir ziehen deshalb in Betracht, gegenüber Frau K eine fristlose, hilfsweise fristgerechte Tat- bzw. eine fristlose, hilfsweise fristgerechte Verdachtskündigung auszusprechen.
Wir bitten um Ihre abschließende Stellungnahme."
Die Klägerin hat bestritten, Zigaretten entwendet zu haben. Sie hat vorgetragen, ihre Aufgaben erledigt zu haben, wozu es gehöre, dass Zigarettenregal ein- und auszuräumen und zu ordnen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, sie als stellvertretende Filialleiterin in deren Niederlassung in K in vereinbarter Teilzeit bei 24-Stunden pro Woche tatsächlich zu beschäftigen, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 23.01.2009 sein Ende gefunden hat,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristgerechte zum nächst möglichen Termin ausgesprochene Kündigung vom 23.01.2009 sein Ende gefunden hat, sondern zu den Konditionen des abgeschlossenen Arbeitsvertrages unverändert fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, aufgrund der vorliegenden Videoaufzeichnungen sei nachgewiesen, dass sich die Klägerin sowohl am 06.12.2008 als auch am 17.12.2008 jeweils zumindest eine Packung Zigaretten zugeeignet habe. Zumindest bestehe ihr gegenüber ein dringender Tatverdacht, den die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung am 13.01.2009 nicht entkräftet habe. Der Betriebsrat habe durch die Zeugin Frau S in einem Telefonat mit der Verwaltungsleiterin Frau W am 23.01.2009 seine Zustimmung zu der Kündigung erklärt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Vernehmung der Zeugen K und Frau S und Augenscheinseinnahme der Videoaufzeichnungen abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei nach Zustimmung des Betriebsrats wirksam schriftlich erklärt worden und habe das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet. Es bestehe jedenfalls ein durch Tatsachen begründeter dringender Tatverdacht der Entwendung von Zigaretten aus dem Warenbestand der Beklagten, der es der Beklagten unzumutbar mache, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Wegen der Einzelheiten der arbeitsgerichtlichen Begründung wird auf Blatt 137 ff. der Akten Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung macht die Klägerin unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, es lägen keine objektiven Tatsachen vor, dass sie einen Gegenstand an sich genommen habe. Das Videoband habe schlicht nicht die Qualität, solches festzustellen. Es sei völlig unklar, was sie aus der sogenannten Zigarettenschütte entnommen habe, ob und was sie zwischengelagert und ob und was sie aus der Zwischenlagerung wieder wegtransportiert habe. Gänzlich unbekannt sei, wohin sie mögliche Gegenstände tatsächlich transportiert habe. Hinzu komme, dass es sich bei der "Reinigung" der Schütte um ihre vertraglich geschuldete Arbeit gehandelt habe, also einen für sie ganz normalen Arbeitsvorgang. Im Übrigen sei der Betriebsrat schon deswegen nicht korrekt angehört worden, weil ihm nicht das komplette Videoband, sondern lediglich die zusammengeschnittene Auswertung vorgespielt worden sei. Schließlich verstoße die heimliche Videoaufnahme gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Daraus ergebe sich ein Verwertungsverbot.
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